Offene See
Benjamin Myers
Dumont Buchverlag
2020
Ein tristes Motelzimmer in einem Vorort von L.A. für 20.000 Dollar in eine Luxus-Suite umgestalten zu lassen, um drei Wochen darin zu verbringen statt wie geplant einen Roadtrip quer durch die USA bis nach NYC zu unternehmen - klingt verrückt? “Gut möglich.”, sagt selbst die Ich-Erzählerin aus Miranda Julys neuem Roman Auf allen vieren. Aber jetzt in ihrer Lebensmitte, mit 45, weist sie diese alte Denkweise zurück, “die bisher noch jede Frau davon abgehalten hat, zu ihrer wahren Größe zu finden.”
Nur ein paar Kilometer von Ehemann und non-binärem Kind entfernt, richtet sich die - wie es heißt - mittelmäßig bekannte Künstlerin ein weibliches Refugium ein, in dem sie ganz sie selbst sein kann, unkonventionell, frei von Scham und frei von Bildern, die Familie und Freunde von ihr haben. In diesem Raum erlebt sie im ersten Teil des Buches eine sehr intensive Beziehung zu dem 31-jährigen Davey, der in der lokalen Hertz-Autovermietung arbeitet. Diese Beziehung ist von großer Nähe und Intimität geprägt und erotisch aufgeladen, wenngleich sie ihre Fantasien nicht sexuell ausleben.
Wieder zurück zu Hause kann das Leben natürlich nicht weitergehen wie zuvor. Aber wer jetzt Ehedrama und Scheidungskrieg erwartet, liegt falsch. Stattdessen begeben wir uns im zweiten Teil des Buches mit ihr auf die Suche nach einem Leben, das ihre Sehnsüchte und ganz speziell ihr Verlangen nach Sexualität mit einschließt.
Und diese Reise der Ich-Erzählerin durch die Perimenopause ist von Miranda July tiefgründig, aufregend und witzig geschrieben. Das anfangs umgestaltete Motelzimmer wird dabei zur treuen Begleiterin und erinnert an Virginia Woolfs Ein Zimmer für sich allein. Übrigens hat Virginia Woolf ihren Essay in einem ähnlichen Alter geschrieben, mit 47. Eine Zeit im Leben einer Frau, die bislang wenig Beachtung in der Literatur gefunden hat. Umso besser, dass Miranda July das geändert hat und mit Auf allen vieren einen großen Roman über die Perimenopause geschrieben hat und dabei vor keinem Abgrund Halt macht.
Es mag an meinem Alter Anfang vierzig liegen, dass ich diesen Roman mit großer Begeisterung gelesen habe. Und ich weiß, dass ich ihn spätestens mit 45 Jahren wieder lesen werde, denn er zeigt, dass die Lebensmitte so viel mehr bereithält als Hormonabfall und Schlafstörungen. Die 416 Seiten lesen sich - ganz gewiss Dank der tollen Übersetzung von Stefanie Jacobs - in einem Rutsch weg. Eine große Empfehlung von mir.
Vielen Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch für das eBook Rezensionsexemplar.
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