📖 Buch Rezension & Kritik Die eigentümliche Vorliebe für das Meer - Gregor Hens

In Gregor Hens neuem Roman Die eigentümliche Vorliebe für das Meer, erschienen 2023 im Aufbau Verlag, tauchen wir in eine ungewöhnliche Familiengeschichte ein, die in zwei sehr unterschiedlichen Hafenstädten angesiedelt ist: auf der einen Seite das eher kühle, nüchterne Geest, das an der Nordsee liegen könnte, und auf der anderen Seite der schwül-heiße Inselstaat Nam Van, den man sich laut Autor als (kleinere) Schwesterstadt von Hongkong und Macau vorstellen kann. Dazwischen das Meer als verbindendes Element.

Die Hauptfigur Benedita reist auf Bitte ihres Onkels Gabriel an ihrem 21. Geburtstag zurück nach Nam Van, das sie drei Jahre zuvor fluchtartig verlassen hat. Mit der Rückkehr in ihre Geburtsstadt muss sich Benedita mit der traumatischen Familiengeschichte auseinandersetzen, die in abwechselnden Dita- und Gabriel-Kapiteln aufgedröselt wird. Die Reise in die Vergangenheit wird für Benedita zur Suche nach der eigenen Identität und wirft die Frage auf, wie und wo sie in Zukunft leben will: “Sie will wie die Tiere, die Noah in seine Arche einlädt, einer identifizierbaren Gattung angehören. Aber sie spürt doch, dass sie selbst in diesen verwaschenen Farben gemalt ist, sie ahnt, dass sie dem Undeutlichen und Unsicheren, das ihre Herkunft bestimmt, niemals wird entfliehen können.”

Parallel zu Beneditas Identitätssuche habe ich beim Lesen teilweise nach Orientierung in Raum und Zeit gesucht. Was an der Art liegen mag, wie die Geschichte zwischen Traum und Realismus kreiert worden ist. Genau darin liegt für mich die Stärke des Romans, zeigt er doch, was Literatur alles zu sein vermag.

Die eigentümliche Vorliebe für das Meer sei allen empfohlen, die sich den Themen Herkunft und Identität auf ungewöhnliche und phantasievolle Art nähern wollen.

Vielen Dank an den Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar.